Berechtigtes Interesse des Vermieters bei Geltendmachung eines Berufs- oder Geschäftsbedarfs
BGH Karlsruhe, AZ: VIII ZR 45/16, 29.03.2017
Die Beurteilung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung (Senatsbeschluss vom 20. Juli 2016, VIII ZR 238/15, WuM 2016, 682 Rn. 9). Sie erfordert vielmehr eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls (Bestätigung von Senatsurteile vom 9. Mai 2012, VIII ZR 238/11, NJW 2012, 2342 Rn. 10; vom 26. September 2012, VIII ZR 330/11, NJW 2013, 225 Rn. 12 und Senatsbeschluss vom 20. Juli 2016, VIII ZR 238/15, aaO).
Dies gilt auch für die Geltendmachung eines Berufs- oder Geschäftsbedarfs. Es ist nicht zulässig, eine solche Fallgestaltung als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln und von einer an den Einzelfallumständen ausgerichteten Abwägung der beiderseitigen Belange abzusehen.
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist allerdings im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zum Schutz des Mieters eigens geschaffene Härteregelung des § 574 BGB zu beachten, dass die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall (individuelle Härte) erst auf Widerspruch des Mieters und nicht schon bei der Abwägung der gegenseitigen Belange im Rahmen der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse für die Kündigung vorliegt, zu berücksichtigen sind. Auf Seiten des Mieters sind daher - anders als bei den Vermieterinteressen, die vollständig einzufließen haben - (nur) die unabhängig von seiner konkreten Situation bestehenden Belange in die Abwägung einzustellen, also das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, die ein Wohnungswechsel in der Regel mit sich bringt (Bestätigung und Fortführung von Senatsurteil vom 26. September 2012, VIII ZR 330/11, NJW 2013, 225 Rn. 18).
Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte weiter zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt sind (BVerfG, 26. Mai 1993, 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1, 6 ff.; BVerfG, 28. März 2000, 1 BvR 1460/99, NJW 2000, 2658, 2659; BVerfG, 16. Januar 2004, 1 BvR 2285/03, NJW-RR 2004, 440, 441 und BVerfG, 4 April 2011, 1 BvR 1803/08, NZM 2011, 479 Rn. 29). Vom Schutzbereich der verfassungsrechtlich verbürgten Eigentumsgarantie des Vermieters ist dabei nicht nur dessen Wunsch erfasst, die Wohnung zu privaten Zwecken zu nutzen, sondern auch dessen Absicht, sie für eine wirtschaftliche Betätigung zu verwenden (im Anschluss an BVerfG, 14. Februar 1989, 1 BvR 1131/87, BVerfGE 79, 283, 289 ["Grundlage privater und unternehmerischer Initiative"] und BVerfG, 4. Juni 1998, 1 BvR 1575/94, NJW 1998, 2662).
Neben der Eigentumsgarantie kommt den Grundrechten der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Grundrechts auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig keine selbständige Bedeutung zu (insoweit Aufgabe von Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2005, VIII ZR 127/05, NZM 2005, 943, 944, und Senatsurteil vom 26. September 2012, VIII ZR 330/11, NJW 2013, 225 Rn. 16).
Auch wenn sich allgemein verbindliche Betrachtungen hinsichtlich der vorzunehmenden Einzelfallabwägung verbieten, ist zu beachten, dass die typisierten Regeltatbestände des § 573 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB einen ersten Anhalt für die erforderliche Interessenbewertung und -abwägung geben. Das Interesse des Vermieters, die betreffende Wohnung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken selbst zu nutzen, ist von der Interessenlage her regelmäßig zwischen den typisierten Regeltatbeständen des Eigenbedarfs und der wirtschaftlichen Verwertung anzusiedeln. Auch insoweit verbietet sich zwar eine Festlegung allgemein verbindlicher Grundsätze. Es lassen sich jedoch anhand bestimmter Fallgruppen grobe Leitlinien bilden.
So weist der Entschluss eines Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen (sog. Mischnutzung), eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf, da er in solchen Fallgestaltungen in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen will. In diesen Fällen wird es regelmäßig ausreichen, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde, was bei einer auf nachvollziehbaren und vernünftigen Erwägungen der Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein dürfte. Entsprechendes gilt, wenn die Mischnutzung durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Vermieters erfolgen soll.
Dagegen weisen Fälle, in denen der Vermieter oder sein Ehegatte/Lebenspartner die Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, eine größere Nähe zur Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB auf. Angesichts des Umstands, dass der Mieter allein aus geschäftlich motivierten Gründen von seinem räumlichen Lebensmittelpunkt verdrängt werden soll, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen).
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iurado
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