Baumängel - Wer kann den Bauträger in Anspruch nehmen, die Eigentümergemeinschaft oder der einzelne Wohnungseigentümer?
OLG Nürnberg, AZ: 2 U 2777/21, 30.03.2022
§§ 9a Abs. 2 WEG; 637 BGB
1. Die Forderungen wegen Mängeln des Gemeinschaftseigentums sind abtretbar. Abtretungsbefugt ist der Rechtsinhaber. Das sind die einzelnen Erwerber, nicht die Wohnungseigentümergemeinschaft, und zwar selbst dann nicht, wenn diese die Ausübung der Rechte an sich gezogen hat.
Es kommt nicht darauf an, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft zur Geltendmachung der Rechte der Erwerber durch einen Beschluss über deren Vergemeinschaftung ermächtigt werden konnte und wirksam ermächtigt worden ist (BGH, Urteil vom 25.02.2016 - VII ZR 49/15 -).
Materiell sachbefugt (aktivlegitimiert) sind während der Dauer der Prozessstandschaft die einzelnen Wohnungseigentümer bzw. Erwerber (BGH, Urteil vom 24.07.2015 - V ZR 167/14 -). Als Folge der Abtretung ist dies nunmehr jedoch die Klägerin. Mit der Zession ist im Ergebnis ein zusätzlicher Aspekt in Bezug auf den (Lebens-)Sachverhalt, aus dem sich der Klageanspruch herleitet, hinzugekommen. Auch insofern gilt nichts anderes als für den Fall, dass eine Klage statt auf eigenes auf fremdes Recht gestützt wird.
2. Eine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist zu verneinen, wenn ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist. Dies gilt selbst dann, wenn eine Partei von der Möglichkeit, eine zur erfolgversprechenden Geltendmachung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels erforderliche Rechtsposition durch Abtretung zu erwerben, nicht unverzüglich Gebrauch gemacht hat.
3. Der mit dem WEMoG in das Wohnungseigentumsgesetz eingefügte § 9a WEG hat die früheren Regelungen des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG ersetzt, der bis zum 30.11.2020 galt. Die sogenannte "gekorene" Ausübungsbefugnis wurde aufgegeben; eine durch Beschluss begründete Rechtsverfolgungskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft sieht das Gesetz nicht mehr vor.
4. Mögliche vertragliche Ansprüche gemäß § 280 Abs. 1 BGB stehen nicht der Gemeinschaft, sondern den Eigentümern bzw. Erwerbern zu. Anders als beim "kleinen" Schadensersatzanspruch handelt es sich dabei nicht um einen sekundären (Erfüllungs-)Anspruch, für den eine geborene Ausübungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft besteht.
5. Die bei einer Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für einen künftigen Schaden erforderliche Voraussetzung, dass ein Schaden tatsächlich droht, mithin eine aktuelle Gefährdung zu besorgen ist.
Unabhängig davon fehlt das Rechtsschutzinteresse aber auch schon deshalb, weil ein Schadensersatzanspruch vor der Entstehung eines ersten Schadens noch nicht entstanden ist und die Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB noch nicht zu laufen begonnen hat.
6. Der Anspruch auf Herausgabe baubezogener Unterlagen ist keine geborene Ausübungsbefugnis der Eigentümergemeinschaft, sondern steht jedem einzelnen Erwerber zu.
Der Entzug der materiellen Ausübungsbefugnis mit der Folge des Verlusts auch der Prozessführungsbefugnis bei vertraglich begründeten Individualrechten stellt einen gravierenden Eingriff in die Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) dar, die auch verbürgt, dass eigene Rechte grundsätzlich selbst ausgeübt und prozessual durchgesetzt werden können. Auch als Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft können dem Wohnungseigentümer diese Befugnisse gegen seinen Willen nicht ohne weiteres entzogen werden. Vor diesem Hintergrund kann die Erforderlichkeit einer einheitlichen Rechtsverfolgung nur bejaht werden, wenn schutzwürdige Belange der Wohnungseigentümer oder des Schuldners an einer einheitlichen Rechtsverfolgung das grundsätzlich vorrangige Interesse des Rechtsinhabers, seine Rechte selbst und eigenverantwortlich auszuüben und prozessual durchzusetzen, deutlich überwiegen.
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann aber unter Umständen auch nur von einzelnen Eigentümern rechtsgeschäftlich ermächtigt werden, einen ihnen zustehenden Individualanspruch im Wege gewillkürter Prozessstandschaft durchzusetzen (BGH, Urteil vom 12.04.2007 - VII ZR 236/05 -). Hierzu sind aber individuelle Aufträge und Vollmachten erforderlich, falls der Eigentümerversammlung die erforderliche Beschlusskompetenz für eine Vergemeinschaftung fehlt.
7. Die Behauptung unter Antritt von Sachverständigenbeweis, dass mangels wesentlicher Mängel bereits bei der Begehung eine Abnahmepflicht bestanden habe, betrifft ausschließlich die Abnahmefähigkeit.
8. Die Kosten für Sachverständigengutachten können als (enger) Mangelfolgeschaden im Sinne eines Schadensersatzanspruchs neben der Leistung gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen sein.
Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten ist, dass sie für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig sind. Die Gutachten müssen dazu dienen und erforderlich sein, den Mangel (hier im Sinne eines unerfüllten Herstellungsanspruchs) nach Verursachung und Ausmaß zu erfassen und die Durchsetzung der Mängelrechte vorzubereiten oder im Falle eines Prozesses zu erleichtern.
Verbundene Urteile
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BGH Karlsruhe, AZ: V ZR 75/18, 19.07.2019
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BGH Karlsruhe, AZ: V ZR 167/14, 24.07.2015
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Keywords: REchtsanwalt Frank Dohrmann Bottrop