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Beweissicherungsverfahren auch ohne Vorbefassung der Wohnungseigentümer statthaft; §§ 21 Abs. 4 u. 5 Nr. 2 WEG; 485 ZPO
BGH Karlsruhe, AZ: V ZB 131/17, 14.03.2018
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Die Durchführung eines gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten selbständigen Beweisverfahrens über Mängel am Gemeinschaftseigentum setzt nicht voraus, dass der antragstellende Wohnungseigentümer sich zuvor um eine Beschlussfassung der Eigentümerversammlung über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln bemüht hat.

Nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Ursache eines Sachmangels bzw. der Aufwand für dessen Beseitigung festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Der Anspruch eines Wohnungseigentümers gegen die übrigen Wohnungseigentümer aus § 21 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 WEG auf Beseitigung von Mängeln des Gemeinschaftseigentums als Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung setzt aber weder materiell voraus noch erfordert seine gerichtliche Durchsetzung stets, dass der Wohnungseigentümer sich zuvor um eine Beschlussfassung der Versammlung über die Maßnahme bemüht hat.

Das Vorbefassungsgebot gilt nämlich ausnahmsweise dann nicht, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Antrag in der Eigentümerversammlung nicht die erforderliche Mehrheit finden wird, so dass die Befassung der Versammlung eine unnötige Förmelei wäre.

Das Gericht wäre daher im Einzelfall zu einer aufwändigen Prüfung der Voraussetzungen dieser Aufnahme gezwungen, was auch erhebliche Unsicherheiten mit sich brächte. Denn häufig wird nicht offenkundig sein, ob der Antrag in der Eigentümerversammlung Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Mit dieser Prüfung würde das selbständige Beweisverfahren überfrachtet und seine Funktion, zur Vermeidung eines Rechtsstreits beizutragen, erheblich entwertet.

Es entspricht daher regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung, vor der Beschlussfassung über Instandsetzungsmaßnahmen deren erforderlichen Umfang und den dafür erforderlichen Aufwand zu ermitteln.

Ein Antrag auf gerichtliche Beweiserhebung in dem Verfahren nach den §§ 485 ff. ZPO erschöpft sich aber weder in der Vorbereitung einer Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahme noch wird durch das Beweisverfahren die Entscheidung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „ob“ und das „wie“ der Durchführung der Maßnahme vorweggenommen.

Das selbständige Beweisverfahren hat die Aufklärung von Tatsachen zum Gegenstand. Mit seiner Durchführung wird die Beweiserhebung in einem eventuell später erforderlich werdenden Prozess vorweggenommen.

Das selbständige Beweisverfahren dient im Fall des § 485 Abs. 1 ZPO der Abwehr eines dem Antragsteller drohenden Rechtsnachteils durch den zu befürchtenden Verlust eines Beweismittels, in dem hier vorliegenden Fall des § 485 Abs. 2 ZPO unabhängig von einem solchen Sicherungsbedürfnis der Vorbereitung einer gütlichen Einigung und damit der Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten, bei denen in erster Linie über tatsächliche Fragen gestritten wird.

Diese Ziele lassen sich mit einem durch die Wohnungseigentümergemeinschaft zur Vorbereitung einer anstehenden Instandsetzungsmaßnahme oder zur Abschätzung ihrer Erforderlichkeit eingeholten Gutachten nicht gleichermaßen erreichen. Ein solches Privatgutachten dürfte in einem Prozess nicht als ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO, sondern nur als urkundlich belegter Parteivortrag gewürdigt werden.

Mit der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens wird die Entscheidungsbefugnis der Wohnungseigentümer hinsichtlich der Maßnahme selbst nicht beeinträchtigt, da eine gerichtliche Entscheidung über das „ob“ und „wie“ der Durchführung der Mangelbeseitigung anders als im Falle einer von dem Wohnungseigentümer erhobenen Leistungsklage nach § 21 Abs. 4 WEG - für die das Vorbefassungsgebot auch nach Durchführung des selbständigen Beweisverfahren gilt - nicht ergeht.

Eine Kostenentscheidung ergeht grundsätzlich nicht; die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind vielmehr Kosten des anschließenden Rechtsstreits (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16; Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - V ZB 84/09, NJW-RR 2010, 233 Rn. 13 mwN). Einen solchen Rechtsstreit können die übrigen Wohnungseigentümer vermeiden, indem sie eine nach der Beweisaufnahme erforderliche Maßnahme rechtzeitig umsetzen. Kommt es nicht zu einem Hauptsacheverfahren, können sie etwaige, ihnen in dem selbständigen Beweisverfahren entstandene außergerichtliche Kosten, z.B. für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt, unter den Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO, d.h. nach Ablauf der Frist für die gerichtlich angeordnete Klageerhebung, von dem Antragsteller erstattet verlangen.

Dieser kann seinerseits, wenn er die Hauptsacheklage nicht erhebt, die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens nur von den Antragsgegnern erstattet verlangen, wenn hierfür eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage besteht (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16, juris Rn. 19; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 490 Rn. 6). Daran wird es regelmäßig fehlen, wenn der Wohnungseigentümer vor der Durchführung des gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten selbständigen Beweisverfahrens eine Beschlussfassung der Eigentümerversammlung über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln am Gemeinschaftseigentum nicht herbeigeführt hat. Ohne eine solche Befassung wird ein materieller Anspruch auf Erstattung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens grundsätzlich nicht in Betracht kommen.
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Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
Keywords: Zulässigkeit Rechtsanwalt Frank Dohrmann Bottrop