Kostenlose Urteile und Gerichtsentscheidungen

Detailansicht Urteil

Kosteninteresse geht vor Rechtsschutzinteresse/ Anfechtungsklage darf nicht mit Hinweis auf Beschränkung der Klageanträge erhoben werden; § 46 Abs. 1 S. 2 WEG
BGH Karlsruhe, AZ: V ZR 204/16, 16.02.2017
Entscheidung
im Volltext
herunterladen
Erhebt ein Wohnungseigentümer eine Anfechtungsklage über sämtliche Beschlüsse und kündigt an, mit der Klagebegründung mitzuteilen, auf welche Beschlüsse er die Klage beschränken werde, liegt hierin ein unbestimmter Klageantrag vor, der nicht als „Vorratsanfechtung“ ausgelegt werden kann mit der Folge, dass die Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG versäumt ist.

Allerdings darf auch bei einer Beschlussanfechtungsklage die Auslegung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.

Dies steht in aller Regel einer Auslegung des Klageantrags entgegen, die zu einer Unwirksamkeit der Prozesshandlung (hier: wegen Unbestimmtheit des Klageantrags) und in der Folge zu der Versäumung einer Ausschlussfrist führt.

Bei einer Klage nach § 46 WEG, die – wie hier – nur als sog. Vorratsanfechtung (vgl. dazu Roth in Bärmann, WEG, 13. Aufl., § 46 Rn. 9) zulässig wäre, kann jedoch ausnahmsweise auch eine solche Auslegung der wohlverstandenen Interessenlage der klagenden Partei entsprechen.

Allein wegen der erheblichen Mehrkosten einer Vorratsanfechtung im Falle einer teilweisen Klagerücknahme für den Kläger ist mit einer solchen Klage nicht klargestellt, ob es seinem Interesse entspricht oder ob die Versäumung der Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG das kleinere Übel darstellt.

Immerhin hat der Kläger die Möglichkeit, nach Ablauf der Anfechtungsfrist die Nichtigkeit der missfallenden Beschlüsse geltend zu machen.
Der BGH hat mal wieder den Fall, aber nicht das Problem gelöst.

Häufig haben Wohnungseigentümer das Problem, die konkreten Beschlussfassungen innerhalb der Anfechtungsfrist nicht zu kennen, weil sie entweder auf der Versammlung nicht zugegen waren oder aber die konkreten Beschlussfassungen nach einer hitzigen Diskussion nicht richtig mitbekommen haben.

Das Protokoll wird von der Verwaltung meist nicht rechtzeitig erstellt gescheige denn den Wohnungseigentümern ausgehändigt.

Somit steht der Eigentümer vor dem Dilemma, Beschlüsse anfechten zu müssen, deren Inhalte ihm nicht genau bekannt sind.

Eine Anfechtung aller Beschlüsse mit dem Hinweis auf deren Beschränkung im Rahmen der Klagebegründungsfrist ist nach Auffassung des BGH der falsche Weg.

Auch die bisherige Rechtsprechung, dass die Parteien im Prozess im Zweifel eine wirksame Prozesshandlung haben vornehmen wollen und dies im Wege der Auslegung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu ermitteln ist, hat der BGH im "Kosteninteresse" der unterlegenden klagenden Partei nicht weiterverfolgt.

Vielmehr muss der anfechtende Wohnungseigentümer vorsorglich alle Beschlüsse anfechten und sodann im Wege der teilweisen Klagerücknahme die Kosten tragen.

Oder noch besser: Er klagt erst gar nicht und lässt rechtswidrige Beschlüsse bestandskräftig werden.

Eine Lösung bietet der BGH immerhin noch an: Man könne ja immer noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist die Beschlüsse auf ihre Nichtigkeit hin überprüfen lassen, sollten deren Voraussetzungen ausnahmsweise vorliegen.

Effektiver Rechtsschutz geht anders.
Entscheidung im Volltext herunterladen
Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
Keywords: Anfechtungsfrist Begründungfrsit Klageauslegung Rechtsanwalt Frank DOhrmann Anfechtungsklage Beschlussanfechtung Wohnungseigentümergemeinschaft Eigentümerversammlung