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Anerkenntnisurteil kann in der Berufungsinstanz widerrufen werden; Prozessvollmacht des eigenen Anwaltes kann in der Revision nur durch postulationsfähigen Anwalt gerügt werden
BGH Karlsruhe, AZ: V ZR 76/14, 23.10.2015
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Der Verwalter bleibt auch dann gesetzlicher Zustellungsvertreter, wenn er seiner Pflicht, die Wohnungseigentümer unverzüglich darüber zu unterrichten, dass ein Rechtsstreit gemäß § 43 WEG anhängig ist (§ 27 Abs. 1 Nr. 7 WEG), nicht nachkommt.

Dass der Verwalter im Beschlussmängelprozess nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG befugt ist, für die beklagten Wohnungseigentümer einen Rechtsanwalt zu mandatieren (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juli 2013 - VZR 241/12, NJW2013, 3098 Rn. 7 ff.), schließt allerdings nicht aus, dass einzelne Wohnungseigentümer einen eigenen Rechtsanwalt beauftragen oder eine Vertretung durch den vom Verwalter eingeschalteten Anwalt ablehnen.

Soweit andere Wohnungserbbauberechtigte erstmals in der Revisionsinstanz mitgeteilt haben, sie wollten nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten werden, bleibt dies schon deshalb ohne Wirkung, weil die Erklärungen nicht durch einen am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt abgegeben worden sind (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO).

Prozesshandlungen wie das Anerkenntnis unterliegen nicht den für materiell-rechtliche Rechtsgeschäfte geltenden Vorgaben. Die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln sind weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 391 ff.; Beschluss vom 13. Dezember 2006 - XI I ZB 71/04, MDR 2007, 672; Beschluss vom 14. Mai 2013 - II ZR 262/08, NJW 2013, 2686 Rn. 7). Wegen ihrer prozessgestaltenden Wirkung sind Prozesshandlungen grundsätzlich unwiderruflich, wenn sie als so genannte Bewirkungshandlungen die Prozesslage unmittelbar beeinflussen (Senat, Urteil vom 27. Februar 2015 - V ZR 128/14, NJW 2015, 2425 Rn. 27). Ein Widerrufsrecht kann sich allerdings ausnahmsweise aus teleologischen oder systematischen Envägungen ergeben.

Es ist säumigen Streitgenossen in den Tatsacheninstanzen in nachfolgenden mündlichen Verhandlungen möglich ist, eine von dem anwesenden Streitgenossen mit Wirkung für sie vorgenommene Prozesshandlung zu widerrufen.

Die Möglichkeit zum Widerruf von Prozesshandlungen in der mündlichen Verhandlung von einem anwesenden Streitgenossenmit Wirkung für und wider die übrigen vorgenommen worden sind, folgt aus der gebotenen teleologischen Reduktion des § 62 ZPO.
Da hat der BGH aber mal wieder einen rausgehauen. Da die ZPO auf WEG-Verfahren nur bedingt anwendbar ist, hat der BGH mehrfach entscheiden müssen, wie sich die Streitgenossenschaft der beklagten Wohnungseigentümer in einem Anfechtungsverfahren auswirkt. Zunächst herrschte Ratlosigkeit. Dann überraschte uns der BGH (V ZR 196/08) mit der Erkenntnis, dass die Wohnungseigtentümer wie echte Streitgenossen anzusehen sind, was das LG München (1 S 809/11) dann auch prompt dazu veranlasste, sogar einen Parteiwechsel eines beklagten Miteigetümers vorzunehmen, worauf der BGH (V ZR 7/12) seine Rechtsprechung in einem Nebensatz sofort wieder aufgab und entschied, dass ein Parteiwechsel wohl doch nicht möglich sei.

Aktuell stellt der BGH (V ZR 76/14) fest, dass eine erstinstanzliche Prozesshandlung (Anerkenntnis) eines Streitgenossen ausnahmsweise noch in der Berufungsinstanz widerrufen werden kann, wenn die übrigen Eigentümer säumig waren und stellt damit erneut klar, dass die Gesetzesreform von 2007 wohl wenig durchdacht war.

Immer wieder neue Ausnahmen und Sonderregeln machen das Prozessrecht im WEG mittlerweile zu einem nicht mehr überschaubaren Risiko für Parteien wie für Anwälte.

Da wundert es schon gar nicht mehr, wenn ein Eigentümer, der erstmalig in der Revisionsinstanz von seinem Gerichtsverfahren erfährt, weil der Verwalter ihn bis dahin nicht unterrichtet hat und von den ihn vertreten Rechtsanwalt nicht vertreten werden will, einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt beauftragen muss, damit dieser die fehlende Bevollmächtigung rügt.
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Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
Keywords: Rechtsanwalt Frank Dohrmann Bottrop Anfechtungsklage Prozessrecht