Unwirksamkeit einer Sonderumlage bei Liquiditätsengpässen der Wohnungseigentümergemeinschaft
OLG Hamm, AZ: I-15 Wx 85/08, 15.07.2008
Die Bewertung, ob eine Beschlussfassung mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung in Einklang steht, ist anhand einer konkreten Kosten - Nutzen - Analyse und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft im Einzelfall vorzunehmen (Bärmann - Merle, WEG, 9. Aufl., § 21 Rdnr 64). Das gilt auch für die Beschlussfassung über eine Sonderumlage.
In der Rechtsprechung früher entschiedene Fälle betreffen Konstellationen, in denen der einzelne Wohnungseigentümer in einem geringen Umfang (bis zum 2 - fachen Betrag der persönlichen Kostentragungsquote) (Vgl. KG NZM 2003, 484) die Beträge der anderen übernehmen muss, um die dauerhafte Liquidität und damit auch Nutzbarkeit der Anlage zu sichern. Davon abweichend liegen hier eine Reihe besonderer Umstände vor, die sich aus der extremen Krisensituation der Wohnungseigentümergemeinschaft ableiten:
Große Teile der Eigentumsanlage sind infolge der bereits bestandskräftigen Versorgungssperre nicht zu Wohn - oder gewerblichen Zwecken nutzbar. Die Beschlussfassung über die Sonderumlage zum Ausgleich der Forderungen der Versorgungsträger unter Berücksichtigung des Forderungsausfalls führt hier dazu, dass die verbliebenen zahlungsfähigen Eigentümer den 10-fachen Betrag der persönlichen Kostentragungsquote zur Tilgung der Verbindlichkeiten gegenüber diesen zu tragen hätten. Hierdurch wiederum drohen angesichts des Zahlungsvolumens diese ebenfalls zahlungsunfähig zu werden mit der Konsequenz, dass für zukünftig notwendige Maßnahmen der Eigentümergemeinschaft auch diese Eigentümer nicht mehr die ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung stellen können. Zu solchen notwendigen Maßnahmen gehören trotz der Stillegung des Wohnturms u.a. die sich aus dem Gebäudeeigentum ergebenden privat - und öffentlich - rechtlichen Sicherungspflichten.
Andererseits bestand zum Ausgleich der bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber den Versorgungsträgern kein akuter Handlungsbedarf, lediglich auf Dauer hat die Gemeinschaft die Kosten auszugleichen. Aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass zu dem wenige Monate nach der Teilstilllegung liegenden Zeitpunkt der Beschlussfassung der Versorgungsträger ernsthaft die gerichtliche Geltendmachung seiner offenen Forderungen gegen die teilrechtsfähige „Gemeinschaft eingeleitet oder gar im Wege der Zwangsvollstreckung auf verbliebene Vermögenswerte der Gemeinschaft zugegriffen hätte. In Anbetracht der bereits erfolgten Stilliegung des Wohnturms und der anderweitig sichergestellten Versorgung der noch betriebenen Gewerbeeinheiten konnte zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Erhebung des Teilbetrages der Sonderumlage, der der Bedienung der Altforderungen der Versorgungsträger diente, vorrangig nur deren Interesse an einer baldigen Befriedigung ihrer Forderungen Rechnung tragen. Bei objektiver Bewertung sind demgegenüber - anders als bei den geschilderten Sicherungsmaßnahmen - keine Gesichtspunkte erkennbar, die die Gemeinschaft in Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen drängten, eine Sonderumlage zum Ausgleich dieser Altverbindlichkeiten zu erheben. Bei der vorzunehmenden Abwägung gewinnt dann aber das Interesse der verbliebenen zahlungsfähigen Miteigentümer größeres Gewicht, nicht in der geschilderten Weise übermäßig mit der Abdeckung dieser Altverbindlichkeiten belastet zu werden.
Der Senat hat diese Abwägung ausdrücklich ohne Rücksicht auf die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht in Kraft getretene Neuregelung in § 10 Abs. 8 WEG vorgenommen. Denn die Rechtmäßigkeit eines Eigentümerbeschlusses ist nach der Sach - und Rechtslage zu beurteilen, die zur Zeit der Beschlussfassung vorlag (OLG Köln NZM 2007, 603; Senat ZMR 2008, 156). Die seit dem 01.07.2007 geltende, nach dem Verhältnis seines Miteigentumsanteils begrenzte Außenhaftung des einzelnen Wohnungseigentümers gegenüber den Gläubigern der Gemeinschaft (§ 10 Abs. 8 Satz 1 und 4 WEG) hätte der Eigentümerversammlung allerdings Anlass geben müssen, über eine Abänderung der Sonderumlage zu beschließen. Zwar wird durch die gesetzliche Neuregelung nicht die Pflicht des einzelnen Miteigentümers zur Zahlung der Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums berührt (Bericht des Rechtsausschusses zu § 10 Abs. 8 WEG in BT - Drucks 16/3843 S. 25). Wird jedoch der einzelne Wohnungseigentümer in der dargestellten Weise durch die Erhebung einer Sonderumlage extrem belastet, darf die Gemeinschaft die Verpflichtung des einzelnen durch Mehrheitsbeschluss nur einfordern, wenn sie dafür im Interesse der Sicherung ihre Fortbestandes besonderen Anlass hat, etwa wenn ihr notwendige liquide Mittel durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eines Gläubigers entzogen werden.
Der Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung betrifft zwar nur den Teil der Sonderumlage, der die Abdeckung der Altverbindlichkeiten gegenüber den Versorgungsträgem in Höhe von 40.000 € betrifft, führt jedoch in Anwendung des § 139 BGB zur Ungültigerklärung der Beschlussfassung insgesamt. Angesichts der Anteile der Sonderumlage, die auf die Verbindlichkeiten einerseits und die Sanierungskosten andererseits entfällt, ist nicht davon auszugehen, dass die Eigentümer einen Beschluss über die Erhebung einer Sonderumlage isoliert nur für die Sanierungskosten gefasst hätten. Hinzu kommt, dass die Wohnungseigentümer in der Beschlussfassung nicht ausdrücklich differenziert und einzelne Beträge zugeordnet haben.
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